Manifest

Über die Kunst

1.

Wir leben in einer Welt, in der die Realität streng geheim ist. Sie muss es auch bleiben. Julian Assange musste lanze Zeit in einem Kerker krepieren dafür, dass er dieses unausgesprochene Gesetz missachtete. Wir, die anderen, die Schweigsamen, hocken dicht an dicht in einer Art Puppenhaus und freuen uns über das, was wir sehen. Wir halten es für real. Es ist nicht real.

2.

Der Künstler muss ein Aktivist sein. Man sollte von ihm keine Botschaft, sondern eine klare Analyse der Realität verlangen. Die Welt braucht investigative Kunst.

3.

Kunst muss an die Realität andere Fragen stellen als die, die üblicherweise an sie gestellt werden. Der Künstler muss ein Gespür für die richtigen Fragen haben. Und er muss die Welt ständig beobachten und studieren. In den Elfenbeinturm darf er später, zum Sterben.

4.

Die Kunst darf schön sein. Der Künstler ist ein Magier und kein Wissenschaftler. Aber wenn Schönheit den Hedonismus des Künstlers widerspiegelt und den Hedonismus des Zuschauers bedient, dann verblasst die Aussage über die Realität im Kunstwerk, falls es überhaupt eine gibt.

5.

Es gibt keine unpolitische Kunst. Entweder ist der Künstler ein Rebell oder er ist ein Lakai der Mächtigen.

6.

„It’s not the size of the dog in the fight, it’s the size of the fight in the dog which decides the outcome“, sagen die US-Amerikaner. Das Gleiche gilt für die Kunst. Mit wenigen Mitteln ist es deutlich schwerer für einen Magier, zu zaubern. Aber wenn er keinen Hasen hat, kann er auch mit dem besten Trick keinen erscheinen lassen.

7.

Der Humanismus ist der beste Trick, den sich die Mächtigen je ausgedacht haben. Denn sie haben auch Magier. Unterschätzen darf man sie nicht. Man erkennt sie daran, dass sie im Dunkeln zaubern und sich niemals nach der Aufführung verbeugen. Kunst darf keine „humanistische“ sein. Sie darf auch nicht „politisch korrekt“ sein. Sie muss mit „Werten“ vorsichtig umgehen. Tut sie das nicht, macht sie im vollen Licht Tricks nach, die sie offensichtlich als solche nicht erkennt, und sie legitimiert sie damit.

8.

Die Avantgarde der Kunst seit den 1970er Jahren ist postmodern. Die Postmoderne sieht die Welt als eine Vielfalt gleichberechtigt nebeneinander bestehender Perspektiven. Für sie gibt es keine Realität, es gibt so viele Realitäten, wie es Betrachter gibt. Es ist aber nicht zu leugnen, dass es auf unserer Erde Plünderer und Geplünderte gibt. Ihre Perspektiven sind nicht gleichberechtigt. Nutznießer der verkündeten Gleichberechtigung sind die Plünderer. Viele von ihnen wissen das. Viele Geplünderte wissen das auch. In der realen Welt gilt einzig eine Perspektive. Alle anderen sind nichts als Sand, den man in die Augen derer streut, die naiv sind.

9.

Die Postmoderne hat der Kunst ein reiches Instrumentarium beschert. Ob man sich von ihr distanzieren kann, ohne dieses Instrumentarium niederzulegen? Der Realismus von einst ist nicht die Lösung, er wurde zu Recht als Lüge entlarvt. Er hat sieben Leben und ist der noch schlimmere Feind. Von ihm muss die Kunst Abstand halten. Aber das Instrumentarium der Postmoderne zerlegt jede Erzählung in ein Kaleidoskop von Erzählfragmenten. Das ist ein Problem. Was wir brauchen, ist das große Bild. Außerdem berauscht das Spiel mit Fragmenten, es macht süchtig. Das ist auch ein Problem. Was wir brauchen, ist Klarheit. Wer sich mit postmodernen Strategien der Realität nähern will, muss sich wie Odysseus beim Vorbeifahren an der Insel der Sirenen an den Schiffsmast fesseln lassen.

10.

Die Kunst fliegt gerne hoch über dem Boden. Realität ist schwerfällig, unnahbar, störrisch und damit als Kunstobjekt eigentlich völlig ungeeignet. Aber was haben wir sonst?

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