aus der Lecture Performance „Infam I“
Ich kenne einen alten höflichen Mann aus einem fremden Land, der mit einem glühenden Glauben an Freiheit und Demokratie nach Deutschland kam. Er spricht viel und gerne darüber. Heute ist dieser Mann pensioniert, er sitzt zuhause und wartet auf den Sturz des amerikanischen Imperiums. Als ich ihn neulich besuchte und in der Diskussion von Werten sprach, die es doch gelte, gemeinsam zu verteidigen, antwortete er: „Ich scheiß‘ auf Eure Werte.“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich sagte nichts. Er sagte auch nichts. Nach einer langen Pause sagte er: „Weißt du, in wie vielen Ländern dieser Welt sich die Amerikaner mit ihren „Werten“ einmischen? Weißt du, wieviel Leid das verursacht? Glaube bloß nicht, dass ihr besser wäret. Ihr habt vielleicht mehr Stil, das ist aber alles. Dort, wo sich die Menschen euch in den Weg stellen, machen sich eure Agenten und Stiftungen aller Art ans Werk. Das Geld fließt. Irgendwann sind einige im Land bereit, eine kleine Fahne auf irgendeinem Platz zu schwenken. Dann wird geputscht. Das nennt ihr eine Farbenrevolution!“ Der alte Mann schwieg wieder. Er war aufgestanden und ging hin und her, ohne auf mich zu achten. Plötzlich blieb er vor mir stehen, schaute mich an und sagte: „Perinde ac cadaver, gehorche wie ein Kadaver, sagten die Römer. Gehorche wie ein Kadaver! Viele Menschen hier wissen, was los ist, du wahrscheinlich auch, sonst wärest du nicht zu mir gekommen. Aber die meisten schließen die Augen und stellen sich taub. Sie gehorchen wie Kadaver. Was ist schon das Leid der anderen? Ihnen geht es ja gut! Man muss jung oder hoffnungslos naiv sein, um zu glauben, dass die gleichen Regeln für alle auf dieser Erde gelten.“